Ein sehr persönlicher Beitrag, geschrieben am 08.05.2025

Ich bin in den USA aufgewachsen. Schon in der Schule habe ich viel geschrieben. Meine Englischlehrer – es waren mehrere – waren begeistert. Einige meinten, sie könnten sich für mich eine schriftstellerische Zukunft vorstellen.
Dann kam der Umzug nach Deutschland, mitten in meiner Teenagerzeit. Ich verstand zwar Deutsch, aber lesen und schreiben? Vergiss es. Ich habe damals aufgehört, zu schreiben. Hab den Traum begraben.
Jetzt, Jahre später, ist Schreiben wieder mein Ventil geworden. Niemand sieht, wie ich dabei weine. Niemand stört mich. Es ist einfach da. Und vielleicht ist das hier mein persönlichster Blog ever.

Ich weiß nicht mehr genau, wann und wie ich auf Judith Peters gestoßen bin. Aber ihr Spruch „Blog like nobody’s reading“ ist bei mir hängen geblieben – so richtig. Deshalb habe ich mir für dieses Jahr vorgenommen, wieder mehr zu bloggen. Nicht nur über das Gründen, nicht nur über EFT. Sondern über mein Leben. Meine Gefühle. Das, was ich sehe und empfinde.

Heute ist der 08. Mai 2025. Ich schreibe das dazu, damit du, falls du das irgendwann liest, den Zeitpunkt einordnen kannst.
Vor zwei Tagen ist mein Vater gestorben. Am 01. Mai wurde er 92 Jahre alt. Ja, das ist ein schönes Alter – ohne Frage. Ich habe damit gerechnet. Besonders in den letzten neun Monaten. Wenn ich ehrlich bin, sogar in den letzten Jahren.
Aber ganz ehrlich: Man kann noch so sehr damit rechnen – wenn es dann wirklich passiert, fühlt es sich an, als würde der Boden unter den Füßen weggezogen. Ich war – bin – überwältigt. Handlungsunfähig. Aus der Bahn geworfen.


Ein Jahr zurück: Der Anfang vom Abschied

Letztes Jahr, zum 91. Geburtstag meines Vaters, sind wir zu meinen Eltern gefahren. Schon seit Jahren begleitet mich der Gedanke: Es könnte der letzte Geburtstag sein.
Mein Vater hatte nach einem Schlaganfall starke Schluckbeschwerden. Seitdem war ein Restaurantbesuch für meine Eltern undenkbar. Meine Mutter leidet. Und jedes Mal, wenn das Telefon klingelte und es hieß, mein Vater sei im Krankenhaus, fuhr ich sofort los. Drei Stunden einfache Strecke – aber ich wollte da sein. Für sie. Für ihn.
Im April 2024 habe ich es geschafft, dass mein Vater einen Pflegegrad bekommt. Ab dem 1. Mai sollte endlich jemand regelmäßig kommen – ein Stück Entlastung für meine Mutter. Ich war erleichtert. Denn ich wusste: Diese Generation bittet nicht gern um Hilfe. Sie machen lieber alles selbst.

Als wir an diesem Abend nach Hause fuhren, sagte meine Mutter: „Ich brauche ihn ja noch.“
Ich glaube, das war es, was meinen Vater am Leben gehalten hat.


Ein Urlaub, der keiner war

Mitte April flogen mein Mann und ich in die Türkei. Eigentlich Urlaub – aber auch ein Besuch bei Verwandten, die dort leben und ebenfalls älter sind. Wir wollten sehen, wie es ihnen geht und wo wir helfen können.
Am zweiten Tag der Reise kam der Anruf: Meine Mutter ist im Krankenhaus. Blut gespuckt. Mein erster Gedanke: Magengeschwür. Vielleicht erkennt sie endlich, dass sie Hilfe annehmen darf?

Doch dann der nächste Anruf – vom Arzt persönlich.
Bauchspeicheldrüsenkrebs. Endstadium.
Als ich das schreibe, spüre ich wieder dieses Gefühl der absoluten Hilflosigkeit. Ich war nicht da. Ich fühlte mich schuldig. Zu weit weg.

Wir konnten nicht sofort zurückfliegen. Aber wir organisierten alles aus der Ferne: Betreuung für meinen Vater, Unterstützung durch unseren Sohn, eine Nichte kümmerte sich mit.

Zurück in Deutschland sprach ich direkt mit dem Arzt: maximal noch zwölf Wochen.
Meine Mutter durfte nicht mehr nach Hause. Wir mussten ein Hospiz finden – und gleichzeitig eine passende Unterkunft für meinen Vater.
Innerhalb eines Tages fanden wir beides:
– einen Platz für meine Mutter in Bremervörde
– ein Zimmer für meinen Vater in einer Senioren-WG in Harsefeld

Am 27. Mai zogen sie für immer aus Wolfsburg aus.


Sommer ohne Sommer

Was folgte, war eine anstrengende Zeit:
Besuche beim Hospiz.
Wohnung auflösen.
Papierkram ohne Ende.

Meine Mutter hinterließ ein riesiges Chaos. Keine Ablage, keine Ordner – nichts.
Ich, die sonst alles strukturiert, war überfordert.
Und ich fragte mich ständig: Warum hast du dich nicht früher gekümmert? Warum hast du dich nicht durchgesetzt?

Am 22. Juni feierten wir den 85. Geburtstag meiner Mutter. Wir wussten alle: Es würde ihr letzter sein.
Und doch – wer sie an diesem Tag sah, hätte nie geglaubt, dass sie sterbenskrank ist.


Krankheit, Schuldgefühle und das Gefühl von Versagen

Der Sommer verging.
Unsere kleine Auszeit war ein Coldplay-Konzert in Düsseldorf – mit dem ständigen Gedanken im Kopf: Das Hospiz könnte jederzeit anrufen.
Und dann erwischte uns doch noch Corona. Quarantäne. Keine Besuche möglich. Ich konnte meinen Vater nicht zu meiner Mutter fahren. Ich fühlte mich machtlos, verzweifelt, wütend.

Am 5. August – endlich wieder symptomfrei – fuhr ich mit meinem Vater ins Hospiz.
Meine Mutter war nicht mehr ansprechbar.
Ich flüsterte ihr zum Abschied zu, dass sie gehen darf.
Am Abend kam der Anruf.


Ich funktioniere. Ich funktioniere immer.

Ich wurde so erzogen.
Und es ist Teil meines Naturells.

Ein bisschen weinen – aber weitermachen.
Meine Mutter hatte mir mit letzter Kraft gesagt: „Take care of Dad. You’re responsible for your Dad.“
Ich wollte das nicht.
Ich hatte ein Business, das in Schieflage war.
Ich hatte keine Zeit für Marketing, für Sichtbarkeit. Ich war kaum noch präsent.
Und ich hatte Angst. Große Angst. Weil ich wusste: 64 Jahre Ehe – oft folgt der eine dem anderen schnell.

Ich habe viel organisiert. Vorsorge getroffen.
Trotzdem war unser USA-Urlaub im September nicht die Erholung, die ich gebraucht hätte. Mein Kopf war immer zuhause.


Herbst, Winter, Hoffnung

Ich habe mich geärgert. Über die Pflegeeinrichtung, über Abläufe, über den Zustand meines Vaters. Er nahm weiter ab. Er verlor immer mehr.
Ich fragte mich: Warum steht er jeden Tag noch auf?
Seine Antwort: „Ich muss.“
Warum – hat er mir nie erklärt.

Dann die Frage von außen: Warum holst du deinen Vater nicht zu dir?
Unverständnis.
Aber ich wusste: Es ging nicht. Und es wäre nicht richtig gewesen.

Zum Glück gab es auch Stimmen, die mich bestärkten: Pfleger:innen, Betreuer:innen, die sagten: Du machst das richtig.

Schließlich zogen wir meinen Vater nochmal um – in eine andere Einrichtung. Und da geschah das, womit ich nicht gerechnet hatte:
Er wurde gesehen.
Wertgeschätzt.
Man kümmerte sich wirklich um ihn.


Der letzte Geburtstag

An seinem 92. Geburtstag kam er ins Krankenhaus.
Ich war morgens noch bei ihm in der Notaufnahme.
Eigentlich wollten wir feiern – ein Bier, ein Schnaps wollte er noch haben. Das war sein Wunsch. Es kam anders.
Er war nur noch Haut und Knochen.
Die Ärztin und ich beschlossen gemeinsam: palliative Versorgung.

Es ging schnell.
Schneller als bei meiner Mutter.
Aber die letzten Tage waren zäh. Schwer.
Vor mir lag ein Mensch, der nur noch wie eine Hülle wirkte.

Am 06. Mai kam der Anruf. An dem Tag wo meine Eltern ihren 65. Hochzeitstag gehabt hätten.
Ich weinte. Ich heulte.
Und ich glaube: Jetzt lasse ich los, was sich in den letzten 12 Monaten aufgestaut hat. Mein erster Gedanke: Jetzt sind sie wieder zusammen.


Ich liege auf dem Bett und tue – nichts.

Ich schaue Lernvideos. Versuche umzusetzen, was meine Coaches mir beigebracht haben.
Und dann liege ich auf dem Bett und tue – nichts.

Das ist schwer für mich.
Denn mein inneres Gewissen schreit: Tu was! Sei produktiv!
Und alle um mich herum sagen: Achte jetzt auf dich.

Ich versuche es.
Ich weiß als Coach: Was mein Kopf mir da erzählt, ist Bullshit.
Und trotzdem ist es da.


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